70 Stundenkilometer – Mit einem Postie-Bike von Sydney nach Adelaide

Im Februar 2025 fuhr ich mit einem kleinen Motorrad von Sydney nach Adelaide. In diesem Bericht erzähle ich von meinen Erlebnissen und Begegnungen.

Freitag

Ein sommerlicher Freitagmorgen in den Blue Mountains. Nach einigen Wochen in Sydney und viel Zeit zwischen Laptop und Strand, sitze ich jetzt in einem Nationalpark vor meinem Zelt. Ich überlege noch einige Tage zu bleiben, aber eine Stunde später meldet sich die Sehnsucht nach der Straße. Ich packe und fahre los, Richtung Westen. Hinaus in die Weite des australischen Hinterlands. Outback nennt sich das hier noch nicht, wie ich lerne. Riverina heißt diese Region: heißes Klima, aber durch künstliche Bewässerung eine der landwirtschaftlich produktivsten Regionen des Kontinents. Die Städte trennen hier nur 50-100km, nicht mehrere Hundert Kilometer.

Wie weit es mich treibt, weiß ich in diesem Moment noch nicht, aber natürlich ist da ein Gedanke an Adelaide, gute 1200km weiter westlich, wo ich lange lebte und durch viele Bekanntschaften eine meiner Heimaten auf diesem Planeten habe. Aber erstmal schauen, wie weit mich mein kleines Gefährt trägt: Freunde in Sydney haben mir ihr „Postie“ gegeben und so reite ich auf dieser kleinen roten Honda mit den originalen, knall-gelben Seitentaschen. Es ist das Gefährt, mit dem auch heute noch die Postbot*innen die australischen Nachbarschaften beliefern.

Mittags lege ich einen Stop in Bathurst ein. Es ist Zeit vollzutanken und im Baumarkt einen zusätzlichen Benzinkanister zu kaufen: der Tank würde mich zwar 150km tragen, aber bei den Distanzen hier draußen will ich lieber nichts riskieren. Als ich wieder aus dem Geschäft komme, sind meine Reifen leicht in den Straßenbelag geschmolzen.

Weiter geht es über die Hügel der Great Dividing Range, jene die ganze australische Ostküste entlangziehende Bergkette, die als Wasserscheide den Kontinent trennt und quasi die gesamte Küste mit Trinkwasser versorgt. Mein Postie hat gewisse Schwierigkeiten bei manchen Anstiegen, aber die Straßen sind breit genug und so halte ich mich am Rand der Straße. An das Gefühl von Roadtrains (LKWs mit bis zu drei Anhängern) überholt und kurz in deren Fahrtwind mitgezogen zu werden, gewöhne ich mich schnell und genieße es.

In Lindhurst halte ich den Kopf unter einen Wasserhahn und bade mein T-Shirt, was nach wenigen Kilometern schon wieder trocken sein wird. Vorbei an Relikten vergangener Zeiten (eine alte Eisenbahnlinie) und an einem Ort namens Woodstock. An einem Parkplatz steht einsam eine Bücherbox „Bush Library. Enjoy!“

Später sehe ich in der Ferne eine angekündigte Gewitterfront aufziehen und mache für die Nacht Halt in Grenfell. Wie in sehr vielen Städten auf dem Land gibt es einen von der Gemeinde bzw. Ehrenamtlichen gepflegten Caravanparkplatz. Meist ist Zelten auch in Ordnung. Umsonst. Die 2 Dollar für die erste Dusche seit Tagen zahle ich gerne.

Meine Befürchtung, dass mir heute Nacht bei monströsen Gewittern mein Zelt um die Ohren fliegt, bewahrheitet sich nicht. Beim Essen meines Eintopfes leuchtet der Himmel zwar ständig in der Ferne. Aber die etwa 100km lange Gewitterfront hat ihren intensivsten Teil weit südlich von mir und so wache ich nur einmal mitten in der Nacht bei einem Schauer auf. Kurzes Zählen des Blitz-Donner-Abstands. Weiterschlafen.

Samstag

Am nächsten Morgen in der Dämmerung: Vögelzwitschern, später ein surrender Rasenmäher. Könnte auch Samstagmorgen irgendwo in Deutschland sein. Fast, wie sich gleich herausstellen wird. Aber zunächst hält ein Postbote neben mir, während ich noch meinen Kaffee schlürfe, grüßt mich von seiner etwas modernen Postie-Versionund fragt neugierig, was ich hier treibe. Wir unterhalten uns kurz angeregt, dann er muss weiter.

Ich packe Isomatte, Zelt, Essen und alles weitere zusammen und fahre zur nächsten Tankstelle. Als ich den Sitz hochklappe: holy shit! Eine handflächengroße Spinne. Kurzer Schock. Und ich saß da eben drauf! Sie verkrabbelt sich schnell und ich habe wenig Erfolg beim Versuch sie mit einem langen Stöckchen wieder hervorzulocken. Ein Mann an der Zapfsäule neben mir, sichtlich Landbewohner/Farmer, fragt, was los sei. Ich erkläre es ihm, auch dass ich nicht von hier bin und wenig Ahnung habe von der Tierwelt. Er muss leicht grinsen. Wir stochern zusammen, dann holt er eine Dose Killerspray aus der Tankstelle. Damit zeigt sich das Tier. Ich schlage es vom Motorrad. „Ach was, das ist nur eine Hausspinne!“, sagt er und tritt dennoch darauf. Ich weiß, oft sind die kleinen Spinnen die gefährlicheren als die großen, die durch ihr Aussehen schon genug Respekt verbreiten. Trotzdem denke ich: ja ne is klar, Australien!

So wird das Stochern in den nicht einsehbaren Winkeln der kleinen Honda dann auch Teil meiner allmorgendlichen Routine. Diese beinhaltet sonst neben Packen: Solarpowerbank aufladen, Porridge vorbereiten, viel Wasser in mich reinkippen, Flaschen auffüllen, Essensvorräte checken.

Mittags halte ich in West Wyalong, gönne mir ein Sandwich. Kurz darauf gefällt mir die Tankstelle aus einem irgendeinem Grund nicht, dennoch biege ich ab, weil sie die letzte im Ort zu sein scheint. Als ich auffülle, bemerke ich, wie sich mein Vorderreifen leert. Ups. Die Kante am Bordstein war wohl zu hart. Nun gut, machste nix. Der Tankstellenkassierer legt nach meiner Frage mehr Betonung auf die Tatsache, dass die Mechaniker heute am Samstag geschlossen haben, als darauf, dass es überhaupt zwei Werkstätten in diesem Kaff gibt. Auf Nachfrage beschreibt er mir dann die Wege. Kurz Luft in den Vorderreifen pumpen, dann fahre ich zur letztgenannten Option. Die Bürotür ist verschlossen, aber das Hallentor geöffnet. Habe ich’s mir doch gedacht.

„Roll mal in die Halle“, sagt Tony. Er ist eigentlich Automechaniker, aber gemeinsam bearbeiten wir den kleinen Reifen. Er hat tatsächlich einen passenden neuen Schlauch, den wir einbauen. Zwischendurch bietet er mir ein Bier an. Ich lehne dankend ab. Stattdessen drückt er mir eine kalte Dose Limonade in die Hand.

Beim Zusammenpacken meine ich dann ein leichtes Grinsen in seinen Gesichtszügen zu erkennen, als er meint: „Und, gewinnt die AfD die Wahl?“ Ich bin etwas verdutzt und konfrontiere ihn mit Fakten. Er: „Na dann aber die nächste Wahl…“

Ich muss mich kurz sortieren, bringe ein paar Argumente hervor. Er dreht ab und beschäftigt sich mit anderem. Warum zur Hölle mich hier im Busch jemand auf die Faschos in Deutschland anspricht, frage ich mich traurigerweise gar nicht. Die Verbindung ist wohl klar: der reichweitenstarke Autoproduzent von der anderen Seite des Pazifiks erreicht auch hier ein Publikum mit seinem menschenverachtenden Gebrülle.

In meinem Kopf fällt es mir schwer nicht dem Muster zu folgen: Schublade auf, Tony rein, Schublade zu. Gerade zeigt er mir seine Hilfsbereitschaft, beschäftigt sich anderthalb Stunden mit mir und meiner Karre, damit ich weiterfahren kann. Einfach so, an einem Samstagmittag. Ich kann nicht widerstehen zu denken: was, wenn ich nicht weiße Haut hätte? Was, wenn ich nicht ziemlich offensichtlich aus Europa käme, wie die Kolonialisten dieses Landes?

Ich folge ihm in den Ladenbereich. Seine zwei Söhne sitzen dort an den Arbeitscomputern und spielen, wir reden kurz über Fussball. Dann reiche ich ihm 50 Dollar und er nickt. Zurück auf der Straße versuche ich die Schublade in meinem Kopf zu öffnen, den Inhalt wieder auszuschütten. Es gelingt mir begrenzt.

Konfrontiert mit den akuten Themen meines Seins überlege ich, ob ich wirklich weiterfahren soll oder nicht: der Regenradar zeigt ein tiefrotes Gebiet kurz vor mir an. Die vernünftige Option ist offensichtlich. Ich fahre weiter. Nach 20 Minuten drehe ich bei den ersten Regentropfen wieder um, da noch lange kein Unterstand in der Nähe ist. Als ich das erste Haus erreiche, fahre ich durch das offene Tor auf den Hof, kein Wachhund zu sehen, und stelle mich unter.

Nach mehrmaligen Klopfen kommt ein älterer Herr heraus. Michael, sehr freundlich, wohnt seit 38 Jahren mit seiner Frau hier. Sie haben Schafe, trinken das minimal gefilterte Regenwasser, was sie auf den Dächern ihres Hauses und der Scheunen sammeln. Wie man das hier so macht. Solarpanele gibt es auch. Ob es nicht einsam sei hier draußen, frage ich. Ach was, in die Stadt seien es ja nur 10 Minuten. Wir schrauben kurz zusammen erfolglos am Kabel meines Tachos herum, der schon die ganze Tour nicht richtig funktioniert und seit dem Ausbau des Reifens gar nicht mehr. Dann merke ich, dass es weiterhin nur tröpfelt und mit Michaels Segen fahre ich weiter.

Den Unterstand in North Yalgogrin 20km weiter den Mid Western Highway entlang nehme ich dann aber doch in Anspruch, verbleibe dort bei in drei Himmelsrichtungen knallenden Gewittern eine gute Stunde. Gigantische Natur. Ich verspüre Dankbarkeit.

Ich packe ich den Gaskocher aus, schneide Gemüse und bereite mein Abendessen für später zu. Das wenige Geschirr wasche ich anschließend im Regen, der vom Dach fließt. Der scheinbar verlassene Auto-Schrottplatz auf der anderen Straßenseite lässt mich einen Hauch von Hillbilly-Atmosphäre spüren. Als der Regen weniger wird, fahre ich in Richtung Helligkeit. Kurze Zeit später werfe ich einen Blick zurück: gleißend helle gelbe Felder, darüber die schwarze Wolkenfront.

In Rankins Springs hat die Tankstelle an diesem Samstagnachmittag schon geschlossen. Die Notfallnummer anzurufen geht mir zu weit und so nehme ich kurze Zeit später freudig zum ersten Mal meinen Benzinkanister in Anspruch. Am frühen Abend halte ich in Goolgowi. Die Tankstelle ist so charmant, mit Schotterboden, da will ich gar nicht weiter. Ich entscheide mich gegen einen Parkplatz am Rand des Ortes (zu viel Einsamkeit für meinen Geschmack in diesem Moment und für die Nacht) und schlafe stattdessen wieder ich auf einem gepflegten Caravan-Parkplatz mitten im Ort.

Sonntag

Der Sonntag ist vergleichsweise ruhig. Viele Kilometer über flaches, trockenes Land. Eigentlich ist alles nur noch eine große Ebene. Von angsteinflößender Tierwelt heute keine Spur: zwischendurch rennt ein Emu mit mir um die Wette. Später komme ich an Viehtreibern vorbei, die mit ihren hunderten Rindern neben und auf der Straße entlangziehen. Bei jedem Stop nehme ich die zahllosen Fliegen wahr, die einem gerne mal im Dutzend aggressiv um den Kopf schwirren.

In der Stadt Mildura (etwa 30.000 Einwohner*innen) fülle ich meinen Vorrat an Obst, Gemüse und Hafermilch auf. Ich befinde mich im Bundesstaat Victoria, als ich den Murray River überquere, einen der größten und bedeutendsten Flüsse Australiens, der aus Queensland mehrere Tausend Kilometer bis nach Südaustralien fließt. So werden hier in der Region viele Zitrusfrüchte und Weintrauben angebaut.

In einem Supermarkt kaufe ich frisches Gemüse und visiere einen, auf der Karte als kostenloser Übernachtungsplatz gekennzeichneten, Ort direkt am Fluss an. Auch wenn es in diesem Fall nur um wenige Kilometer geht, nehme ich mal wieder wahr: mein europäisch geprägter Blick auf die Karte täuscht mich häufig und in der australischen Realität sind Distanzen oft das Vielfache.

Vor dem Baden im Fluss wird auf einem Schild gewarnt. Bei erhöhter Wassertemperatur können sich für Menschen unangenehme Algen bilden. Eine Familie mit Kindern neben mir nimmt mir aber die Skepsis: sie baden hier schon seit Tagen und auch ein Blick auf die Qualitätsmessungen online bestätigt: wir liegen mit gut 26 Grad Wassertemperatur noch unter dem kritischen Wert. Ich drehe also eine kurze Runde im Wasser, baue dann mein Zelt auf, koche mein Abendessen, in dem einen Topf, den ich dabeihabe. Minimalistisch, aber nicht minder gut. Besonders empfehlenswert: ein Stück Parmesan dabei haben als kleines Extra. Der schwitzt sich bei den Temperaturen zwar einen ab, hält aber erstaunlich lange durch.

Zwischen dem atemberaubenden Sonnenauf- und untergang, bin ich überwältigt vom enormen Sternenhimmel und erinnere mich daran, wie es als Kind immer etwas besonderes war, Satelliten am Nachthimmel zu entdecken. Heute fällt mir auf, wie viele mittlerweile davon über uns schwirren.

Montag

Am Montagmorgen fahre ich zurück in die Stadt. Es ist Zeit für einige Erledigungen. Ich höre nun doch auf die Stimme der Vernunft, die sagt: kauf dir wenigstens Reifenpannenspray. Mittags schwimme ich in einem See, bevor ich knapp 300km vor Adelaide auf die Grenze nach Südaustralien treffe. Auf großen Schildern werden wiederholt Quarantäne-Maßnahmen angekündigt, denn in Südaustralien sollen auch weiterhin Fruchtfliegen rausgehalten werden. So muss jegliches frisches Obst und Gemüse in Quarantäne-Mülleimern entsorgt werden. Mein letztes Obst esse ich, eine in der Hitze sowieso schon stark gealterte Gurke muss dran glauben. Am Checkpoint einige Kilometer werde ich gebeten meine Taschen zu öffnen. Ein Blick hinein und ich fahre nach einem kurzen Gespräch weiter.

Mein Schlafplatz abends am Murray River wirkt fast identisch zum gestrigen. Ebenso sympathisch sind die Nachbarn. Während ich frisch gebadet mein Zelt aufbaue, kommt ein Nachbar herüber und drückt mir eine Flasche kühles Wasser in die Hand. Ich verspüre neben einem Gefühl von Dankbarkeit auch unruhige Gedanken. Meine Ankunft in Adelaide naht. Ich will ankommen, will es aber gleichzeitig auch (noch) nicht. Ich lasse die Gedanken sein und verkrieche mich früh ins Zelt.

Dienstag

Um 6 Uhr morgens scheint es, als wäre der Highway auf einmal geöffnet worden: die Trucks sind nicht zu überhören. Nach dem Kaffee und Packen fülle ich Wasser aus meinen großen Kanistern in Trinkflaschen um. Ideal, denn von der Nacht ist es noch fast kühl.

Ein Mann spricht mich an, Michael, in seinen 60ern. Er fragt, wo ich herkomme und wohin ich fahre. Ich frage ihn das gleiche. Seit langem, erzählt er, hatte er überlegt sein gemietetes Haus aufzugeben und einfach loszufahren. Er hatte ein Wohnmobil im Blick und dann kam es, dass er von einem Nachbar erfuhr, dessen Vater sein Gefährt verkaufen möchte. Es war genau das gleiche Modell, das er sich vorstellte. So investierte Michael sein Gespartes, gab sein Zuhause auf und lässt sich nun auf vier Rädern treiben.

Dann gehe ich die letzten knapp 200km an, lasse mir dabei Zeit. Ich komme vorbei an kleinen Orten, die ihre Namen offensichtlich von europäischen Siedlern im 19. Jahrhundert bekommen haben: Steinfeld, Sedan, Black Hill, Mount Pleasant. Mittags arbeite ich mich mit meinen Gefährt die Hügel vor Adelaide hinauf. Die kleine Honda ächzt unter dem Gepäck. Die Landschaft ist karg – es hat seit Wochen nicht geregnet. Ich passiere die Pipeline, die Adelaide und viele weitere Orte mit Wasser aus dem Murray River versorgt und rolle dann kurze Zeit später die Hügel auf der anderen Seite wieder herunter. Bei Temperaturen in Richtung 40 Grad ist für mich klar: ohne Umwege direkt erst mal ans Meer!

© Tilman Vogler Fotografie 2024

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