Zwischen Mandelbäumen und Abgeschiedenheit

Ein Reisebericht aus einem kleinen Dorf südlich der Sierra Nevada, Andalusien, Spanien.

Darrícal, Anfang Februar 2024. Hier bin ich nun. Weit im Süden Europas in einem Dorf namens Darrícal, südlich der Sierra Nevada in Andalusien, Spanien. Alteingesessene Berliner*innen würden vielleicht sagen: jwd = janz weit draußen. Ich schätze mich unglaublich glücklich meine Zeit gerade hier zu verbringen, nicht allzu viel Könnte/Sollte/Müsste zu verspüren, aus der Ferne arbeiten und einfach Sein zu können. Es geschieht hier nichts Spektakuläres, doch es sind für mich gerade diese unaufgeregten Einblicke in den Alltag und das Leben von Menschen an anderen Orten, die mich faszinieren.

Für den Moment will ich ein paar Worte verlieren über Darrícal. Wie ich das halt eben oft mache, wenn ich an einen neuen Ort gelange: zunächst ein paar Informationen über Wikipedia lesen und mich dann weiterklicken. Gelegen auf knapp 400m, in der Provinz Almería, grenzend an Granada, leben hier im Winter nicht viel mehr als 20-30 Menschen. Zugegebenermaßen glaube ich bisher noch weniger angetroffen zu haben. Man liest, dass das Dorf seit dem 15. Jahrhundert existiert, hier mal Griechen* lebten, Muslime* das Dorf entwickelten, bis dann die Spanier* „übernommen“ haben. Es gab mal eine Moschee, nun steht hier eine Kirche, meist mit verschlossenen Türen, aber ich konnte tatsächlich vor einigen Tagen einen Blick hineinwerfen: am ersten Sonntag des Monats findet ein Gottesdienst statt. So kann ich ungefähr auch obige Zahl der Bewohner*innen des Dorfes bestätigen.

Als ich nach meiner Ankunft am ersten Abend realisierte, dass sich die Glocken etwa 20 Meter Luftlinie neben meinem Zimmer befinden, dachte ich schon: oh Gott! Glücklicherweise läuten sie aber nur zwischen 9 und 22 Uhr. Wie lange noch, ist auch unklar: meine Gastgeberin Matilde – Mitte 50, die hier das Haus ihrer Familie renovierte und seit einigen Jahren wieder auf dem Dorf lebt – erklärte mir, dass das Geläut eigentlich nur zur Weihnachtszeit reaktiviert worden sei.

Nach einer kleinen „Hitzewelle“ scheinen sich mittlerweile für diese Jahreszeit halbwegs normale Temperaturen einpendelt zu haben – wenn es so etwas wie normal in Zeiten des Klimawandels überhaupt noch gibt: zwischen 3-8 Grad nachts, 16-20 Grad tagsüber. So ist es morgens, wenn ich mit meinem ersten Kaffee auf die Dachterrasse trete noch ziemlich frisch, doch der Blick auf die an den Spitzen vom Sonnenlicht eingefärbten, rund 200 Meter hohen, Felswände, lässt alles vergessen. Das Dorf ist quasi rein in weiß gehalten, mit vielen blauen Elementen (Türen, Fenster, Blumentöpfe); man könnte meinen einen griechischen Einfluss zu spüren, doch wahrscheinlich nennt sich das einfach mediterran.

Es ist unheimlich trocken hier, die Sonne scheint jeden Tag von früh bis spät. Laut Wetterbericht soll es in einigen Tagen mal regnen – das wäre was! Die Flora besteht zu einem großen Teil aus Nadelbäumen, kleinen Büschen und Sträuchern, und vor allem Unmengen an Rosmarin. Dazu ganz, ganz viele Mandelbäume, die gerade blühen. Deutlich zu früh, wie viele sagen, denn wenn noch einmal ein Frost kommt… an den Hängen befindet sich viel, das vom früheren Leben hier erzählt: angelegte Terrassen, vereinzelte Mandelbäume und zerfallene Gehöfte.

Unten in der kleinen fruchtbaren Ebene mal links, mal rechts, mal beidseitig des kleinen Río Alcolea (auf manchen Karten auch genannt: Río Grande, Rio de Darrícal, Río de Ugíjar – wer weiß…), und hinter wucherndem Schilf, Bambus und einigen Pappeln, gibt es zudem viele Gärten: neben Gemüse finden sich dort vor allem Orangen-, Mandarinen-, Zitronen, Oliven und Avocadobäume. Bis 1973 wurden zudem Trauben angebaut, wie mir vor kurzem ein älteres Ehepaar erklärte, dass ich auf dem Weg zu den Mülltonnen am Ortsausgang an der Landstraße traf. Doch im Oktober besagten Jahres kam es zu einer katastrophalen Flut, als der Fluss, heutzutage etwa 1 Kubikmeter Wasser in der Sekunde tragend, auf das 4000- bis 5000-fache anschwoll und alles mit sich riss. Daher finden sich heute im Tal auch nur noch Reste von Terrassen, aber keine Weinreben mehr. Anschließend begannen Jahre der Emigration, immer mehr Familien verließen das Dorf aufgrund mangelnder wirtschaftlicher Ressourcen und auch im Zuge des 1983 fertiggestellten Staudamms Pantano de Benínar und damit zusammenhängender Enteignungen.

Wasser ist hier in Südspanien sowieso ein heikles Thema. Der Cousin meiner Gastgeberin, der zwar nicht hier wohnt, aber regelmäßig vorbeischaut, um seinen Garten zu pflegen (aus dem auch ich meine Früchte „beziehe“) antwortete auf die Frage nach der Wassersituation: „Es kostet 0 Euro, solange es noch welches gibt. Ich bekomme es aus dem Fluss.“

Und dann gibt es natürlich noch die Straßen. Ich verbringe meine Tage hier meist bis in den frühen Nachmittag am Bildschirm und nehme mir dann die Zeit auf zwei Rädern die umliegenden Dörfer und Berge zu erkunden, in die Schluchten und auf felsige Hügel zu wandern, einfach in der Landschaft zu meditieren. Das Plastikmeer bei El Ejido, den „Gemüsegarten Europas“, habe ich auch schon erblickt. Aber dazu bei anderer Gelegenheit mehr.

© Tilman Vogler Fotografie 2024

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