Eines Morgens im April 2020 ging ich früh aus dem Haus und ließ mich durch die Stadt treiben. Hier sind meine Beobachtungen über Berlin im Corona-Lockdown.
Ich trete hinaus auf die menschenleere Straße. Ist das so, weil es erst 6.30 Uhr ist oder weil es gerade meist so ist? Wann wacht die Stadt normalerweise auf? Als Freiberufler im Homeoffice bekomme ich das doch eher selten mit.


An der nächsten Kreuzung stoße ich auf Berufsverkehr. Es gibt also doch Bewegung. Um ein Bild einer S-Bahn zu erhaschen, muss ich gefühlt lange warten. Im Humboldthain sehe ich Spuren von Aktivität im Sand. Doch abgesehen von einem einzelnen Jogger scheint das Leben noch stillzustehen. Auch die Kneipen schlafen.




Was mir plötzlich besonders ins Auge fällt, ist das orange gekleidete Personal, wie sie Mülltonnen aus den Hausfluren ziehen. Eine Szene im Volkspark am Weinberg erweckt Melancholie in mir: schlafende Obdachlose unter einer blühenden Kirsche werden von der Morgensonne geweckt. Einige Meter weiter kehrt ein Mitarbeiter der Straßenreinigung Zigarettenstummel und Blüten zusammen.





Es ist interessant, wie sich das Stadtbild geändert hat in dieser Zeit. Vor allem, wenn man den Kopf nach unten richtet und den Boden betrachtet. Nicht dass der Anblick von Müll auf der Straße in Berlin wirklich etwas außergewöhnliches wäre, aber die auf dem Weg liegende Verpackung eines Essenslieferdienstes fällt mir doch auf. Die Berlinerinnen und Berliner leben weiter und wenn sie schon nicht in Restaurants einkehren können, dann konsumieren sie Essen und Getränke eben in Parks.



Kurz darauf bemerke ich die Abstandsstreifen einer Eisdiele. Inwieweit ist es möglich anhand dieser Markierungen auf die Popularität eines Geschäfts zu schließen, frage ich mich. Das hier muss auf jeden Fall gutes Eis sein. Und weil die Menschen in Zeiten von Corona eben ständig warten müssen, wird die Straße noch mehr als zuvor an vielen Stellen auch für weitere, politische Statements genutzt.


Im Schaufenster einer Bäckerei erläutern die Besitzer neben dem Slogan „Pleite ist nicht sexy“ die schwierige Situation des Mittelstands in der Corona-Krise. Sie fühlen sich verlassen von der Politik. Wer wird aus dieser Krise wohl als Verlierer hervorgehen?



Die Oranienburger Straße wirkt fast apokalyptisch leer. An einem Brunnen im Monbijoupark nehme ich einen kleinen trinkenden Vogel wahr und fühle mich fast als Störenfried, als das Klicken meiner Kamera ihn aufscheucht. Wie weit erobert sich die Natur die Stadt zurück?


Ich fahre weiter. Immer wieder vergesse ich die Besonderheit dieser Zeit. Die wärmende Morgensonne wirft lange Schatten. Mann mit Aktentasche auf dem Weg zur Arbeit. Ein anderer geht Gassi mit seinem Hund. Ein Chauffeur vertreibt sich die Zeit und liest Zeitung an seinem Wagen. Reisende warten. Alles wie immer.



Und doch erschleicht mich ständig dieses Gefühl von: irgendetwas ist anders.
Die Gegend um das Brandenburger Tor: fast menschenleer.
Der Platz der Republik: eine einsame Joggerin.
Die Parkplatzanzeige am Kanzleramt: scheint kein Gedrängel zu geben.
Die Moltkebrücke: ein einzelnes, stehendes Auto.
Das Wasser der Spree: so ruhig wie ein einsamer See irgendwo in Brandenburg.
Der Washingtonplatz am Hauptbahnhof: wie leergefegt. Aber mit einer klaren Botschaft: denkt auch an andere!







Es ist jetzt etwa 8 Uhr. Ich treffe auf mehr Menschen. Aber immer mit Abstand. Vorbei an Naturkundemuseum, Nordbahnhof, BND-Zentrale fahre ich zurück in den Wedding. Das Gefühl von Corona lässt mich nun nicht mehr los. Das Straßentreiben ist maximal unspektakulär, aber weil alles ein bisschen entrückt wirkt, schreien mich die Alltäglichkeiten geradezu an.










Berlin, im Frühling 2020. Eine Mischung aus Stillstand, Entschleunigung und Erwachen. Business as usual, aber nur mit halber Kraft. Wie lange noch?
